Zum Inhalt springen

Vernissage der Winterausstellungen

Eröffnungsrede der Kuratorin Dr. Elisabeth Heil

Handy, Smartphone, Internet – jederzeit sind wir an jedem Ort mit jedem anderen verbunden, wir rufen an, schreiben Nachrichten, wickeln Geschäfte ab, ordern, chatten, schwatzen, shoppen – pausenlos. Alles ist überall verfügbar: Texte und Bilder mit wichtigen und nichtigen Informationen. Wir beklagen dies, sehen gewaltige Risiken und Missbrauch, fordern mehr Sicherheit und nutzen es dennoch weidlich und uneingeschränkt, klicken, linken, liken. Medien und Netz sind aus unserem Leben nicht mehr zu tilgen, sie erleichtern und beschleunigen alle Kommunikation im Guten wie im Bösen. Unzählige neue Geräte liegen bald wieder unterm Weihnachtsbaum. Auch viele Künstlerinnen und Künstler machen sich Gedanken darüber, nutzen die technischen Errungenschaften, reflektieren die allgegenwärtige Bilderflut und formulieren ihre Sichtweisen auf bisweilen überraschende Art in anregenden Kunstwerken.

Eine von ihnen ist Sabine Ostermann. Sie greift auf teils ironisch-humorvolle, teils sehr ernste Weise alles auf, was sich mit den Netzwerken verbindet, und überträgt dies oft wörtlich in ihre gesellschaftskritische Bildsprache. „Kommunikation“ heißt schlicht eines ihrer Werke und zeigt bitterwahr, was heute Kommunikation bedeutet. Drei Personen stehen beisammen, jeder mit seinem Handy beschäftigt, Kommunikation findet nicht direkt miteinander statt, sondern jeder für sich ist über ein Gerät mit dem Internet, mit den Kommunikationsnetzen verbunden. Und diese lässt Sabine Ostermann wie Schirme oder Sprechblasen über den Personen aufsteigen, schweben, sich verknüpfen. Haben sich die drei vielleicht untereinander vernetzt, ohne den anderen in den Blick zu nehmen? Auch die in der Ausstellung benachbarten „Quasselstrippen“ sind mit sich und ihren Smartphones befasst, produzieren schier unendliche „Strippen“, die hinabfallen, ein riesiges Wirrwarr bilden – ohne erkennbare Struktur und Ergebnisse. Quasseln um des Quasselns willen? Ein anderes Paar sitzt ebenfalls erhöht in einem nicht definierbaren Raum, sozusagen in seiner Cloud, surft und shoppt, während unten im realen Einkaufsleben alles „out of order“ gerät und nutzlos gewordene Einkaufswagen sich auftürmen. Internet und neues Konsumverhalten sind eng miteinander verknüpft, die Menschen darin verstrickt und verwickelt, in Modeträumen versponnen. Gleichwohl versuchen sie sich in „Wolle und Wille“ aus Schlingen zu lösen und an Fäden emporzuziehen. Jeder agiert für sich allein – auch in den Räumen, die ihnen die Welt der schönen Stoffe des „Modekarussells“  oder des „Spitzenlaufs“ lässt. Es ist eine fadenscheinige Welt. Sabine Ostermann, die in Mainz Bildende Kunst und Graphik studiert hat und heute in Falkensee bei Berlin lebt, malt und zeichnet nicht auf Leinwand und Papier, sondern hat sich ein ganz eigenes Medium für ihre ihre Ideen und Kompositionen erarbeitet. Wir kennen wohl alle den Linolschnitt aus Schulzeiten und Linoleum als hochwertigen, seidig glänzenden und nuancenreich eingefärbten Bodenbelag. Auf diese Linolbahnen skizziert die Künstlerin, beginnt dann die Linien einzuschneiden und arbeitet malerisch mit Alkydfarbe weiter, die sich mit Walze, Schwamm und Pinsel auftragen und bis in die Vertiefungen verreiben lässt. Greift Sabine Ostermann dann wieder zum Messer, bringen die neuen Vertiefungen erneut den Linolton hervor. Es ist ein langwieriger, mühevoller Arbeitsprozess, aber mit erstaunlichen Ergebnissen. Sabine Ostermann hat ihre eigenwillige und wohl einzigartige Technik soweit verfeinert, dass sie auch transparente Stoffe, Spitzen, wehende Gardinen usw. wiederzugeben vermag. Jüngst wurden ihre Werke im Wettbewerb „Linolschnitt heute XI“ (Städtische Galerie Bietigheim-Bissigen) ausgezeichnet. Es versteht sich von selbst, dass diese feinen Reliefs mit faszinierendem Liniengeflecht und bezwingender Farbigkeit unikate Kunstwerke sind und nicht Druckplatten für Reproduktionsgraphik. „Kein Druck!“ ist darum der Titel ihrer Ausstellung.

Fotos: Christian Kretzschmar, Bildgabe

Handy-Nutzung ist auch für den Graphiker, Kommunikationsdesigner und Fotografen Stefan Kindel etwas Selbstverständliches, Alltägliches. „By the way“ – im doppelten Sinn von unterwegs und beiläufig – entdeckt er malerisch reizvolle Motive und fotografiert sie dann schnell mit dem ständigen Begleiter, dem Handy, oder auch mit großer Kamera. „By the way“ nennt er darum auch seine Fotoserien. Zu sehen sind nicht ausgedehnte Landschaften oder vollständige Objekte im räumlichen Kontext, sondern ausschnitthafte Aufnahmen von Lichterscheinungen am Himmel, Beschriftungen, Farbflächen, bröckelndem Putz, rostendem Eisen oder Markierungen auf Asphalt. Aus ihrer Umgebung losgelöst, wirken die Aufnahmen wie abstrakt-geometrische oder informelle Malerei und offenbaren sich erst auf den zweiten Blick als Fotografien begrenzter Bereiche. „By the way“ entdeckten Stefan Kindel und der Maler Wolfgang Beck strukturelle und motivische Ähnlichkeiten ihrer Werke, als ob sich Fotografien und Gemälde gegenseitig inspiriert hätten. Beck malt zwar weite Landschaften, doch er entwickelt sie auf der Leinwand assoziativ und fern jeder realistischen Abbildung und fokussiert dabei auch auf ein bestimmtes Motiv in einem ausschnitthaften Umfeld, zum Beispiel eine Bergsilhouette. Beide Künstler, die in der Pfalz beheimatet sind, haben sich zusammen um eine Ausstellung in der Kunststation beworben mit dem Konzept, Malerei und Fotografie „im Dialog“ zu zeigen. Während der Ausstellungsvorbereitungen hat sich dieser Dialog sehr bewusst um das bildhauerische Werk Wolfgang Becks und um Zeichnungen Stefan Kindels erweitert und vertieft. Beck experimentiert leidenschaftlich mit Holz, Eisen bzw. Eisenguss im Bemühen, beide Materialien konstruktiv zur architekturartigen Gebilden zu verbinden. Hinzu kommen stelenartige Figuren und Symbole in Eisen und Holz. Dagegen lesen sich Kindels Fotografien vordergründig als Muster und Informationen des Alltäglichen, scheinbar frei von belastenden Fragen nach tiefen Bedeutungsebenen. Scheinbar – denn Kindel liebt Altersspuren. Und wie den Fotografen so fasziniert auch den Bildhauer gerade nicht das Schöne und Glatte, sondern das Brüchige, Rauhe korrodierter oder poröser Oberflächen.

Bei einem Kleinsassenbesuch haben wir verabredet, im kleinen Raum Zeichnungen von Stefan Kindel und Skulpturen von Wolfgang Beck zu zeigen. Eigentlich wollte Wolfgang Beck, dass Stefan Kindel Köpfe zeichnet, um einen Dialog mit seinen Kopfskulpturen zu eröffnen. Aber dann entdeckte Stefan Kindel bei Spaziergängen in den Weinbergen, mit welch interessanten Windungen sich Reben an den Drahtspannungen festklammern und begann mit seiner neuen Serie „Holzwege“. Und bei einem Atelierbesuch bemerkte ich, dass auch Wolfgang Beck „zeichnet“. Aber er tut dies nicht mit dem Bleistift, sondern mit der Kettensäge in Eichenholz und darin eingegossenem, flüssigem Eisen und dies in einer neuen Weise, die so kongenial-stimmig ist zu Stefan Kindels Holzwegen. Ein wunderbarer, erst jüngst entstandener Werk-Dialog! Mit diesen Zeichnungen auf Papier und in Holz und Eisen eröffnen sich auch Bezüge zurück in die Ausstellung von Sabine Ostermann, während das Fotografieren „by the way“ in die Ausstellung von Joachim Schüler überleitet.

Denn beiläufig und im Internet unterwegs passierte dem Graphiker und Kommunikationsdesigner Joachim Schüler aus Fulda vor einigen Jahren etwas, was ihn als Künstler seither umtrieb und das sich jetzt so bild- und ideenreich in seiner Ausstellung „Suchmaschine“ äußert. „Suchmaschine“ meint einerseits Objekt und Mittel, kann aber auch als Befehl interpretiert werden: Such Maschine! Such nach Bildern zum Begriff Highway, zu Milseburg, such zu Krähen, Georges Perec oder Fup Duck, such zu abstrakten Begriffen, such zu Bildködern! Was bei der Bildsuche am Handy passierte, erzählt Joachim Schüler in seinem Buch „Beifang“: „Irgendwann im Frühjahr 2015 legte mein Smartphone bei der Bildersuche im Internet ein merkwürdiges Verhalten an den Tag: Bevor die Treffer geladen und angezeigt wurden, konnte man – mal für längere Zeit, mal nur für Sekundenbruchteile – bloß farbige Flächen sehen. Was für ein überraschender Fang: Fließende Farben, rechtwinkliger Rhythmus. Es musste hunderte … nee, endlos viele davon geben. … Und ich beschloss, eine Sammlung anzulegen.“

Eine Sammlung von Screenshots, Fotografien von Bildschleiern, noch bevor die wirklichen, im Netz kursierenden Fotos überhaupt vollständig geladen und sichtbar wurden. Was für eine findige Idee! Und es blieb nicht beim Screenshooting. Mit Bildködern aus selbst erschaffenen, abstrakten Aquarellen – bzw. Details daraus – traktierte er seinen Rechner, nach echten, ins Netz gestellten Fotos mit ähnlichen Merkmalen zu suchen. Die Ergebnisse davon wurden wieder als Screenshots abgespeichert. Doch der immateriellen Flüchtigkeit der Farbenflächen im Netz und der Belanglosigkeit ihrer Zusammenstellung wollte Schüler etwas Dauerhaftes, Greifbares entgegensetzen: mit der Übertragung einzelner Bilder bzw. Bildfolgen in Holzschnitt und folgender Druckgraphik und in das, was er Zeichnung nennt – Zeichnung nicht mit Bleistift auf Papier, sondern mit Holzlatten, Holzfundstücken, Möbelresten. Dem Fluss der Bilder begegnet er mit der Sperrigkeit skulpturaler Objekte. In Polyrhythmus ahmt er in einer Wandarbeit die Bildanordnung der Screenshots nach. Und Joachim Schüler geht noch weit darüber hinaus und visualisiert das Fischen und Angeln im Netz in großen Wandinstallationen im Nebenraum seiner Ausstellungshalle. Dabei bleiben einige formale Rückbezüge zu den Screenshots erkennbar, und selbstverständlich dürfen Wolken/Clouds als Speicherebenen nicht fehlen. Joachim Schüler hat einst auch nach Begriffen wie „biergarten“ und „moos“ gesucht. Was würde wohl bei Gemüse herauskommen?

Solche Fragen beschäftigen Viviane Niebling und Karin Kubecka nicht im virtuellen Bereich, sondern ganz konkret. Sie nutzen getrocknete Pflanzen, Blumen und Gemüse, um daraus Papyri herzustellen und zu besonderen Collagen zusammenzustellen. Viviane Niebling studiert an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach Bühnenbild und widmet sich seit mehreren Jahren dieser künstlerischen Arbeit mit Pflanzen. Damit vertraut gemacht hat sie Karin Kubecka. Es entstehen aber nicht nur Collagen auf Leinwandträgern, sondern auch plastische Arbeiten. Aus der Rinde des Maulbeerbaums hat Karin Kubecka in vielen mühevollen Schritten das „Traumgewebe“ hergestellt, das nun den Eingang in die Studioausstellung hervorhebt. Und wer zuvor Sabine Ostermanns Werke intensiv betrachtet hat, wird vielleicht in dieses Gewebe auch manch kleine Figur hineinträumen.

Ich komme noch einmal auf den Begriff „Beifang“ zurück: Auch für die Ausstellungsarbeit in der Kunststation ist dies ein schönes Stichwort. Oft werden wir gefragt, wie wir zu all den Künstlern kommen und zu ihren interessanten Werken und wie wir die Ausstellungen zusammenstellen. Auch wir greifen auf ein Netzwerk aus 40 Jahren Kunststation zurück und knüpfen weiter an diesem Netz. Sabine Ostermann lernte ich auf einer Kunstmesse in Berlin kennen, Wolfgang Beck und Stefan Kindel wurde die Kunststation von Künstlerkollegen als schöner, guter Ausstellungsort empfohlen, Joachim Schüler gehört als Graphiker und Gestalter unserer Publikationen zur Kunststation-Familie. Viviane Niebling und Karin Kubecka gehören ebenfalls zum Künstlerkreis der Region. Irgendwann hatten wir aus vorerst formalen Gründen das gute Gefühl, dass Einzelausstellungen der für die großen Hallen vorgesehenen Kunstschaffenden zueinander stimmig sein könnten. Der Beifang war schließlich das Thema „Kommunikation“ und die jeweils eigene, höchst interessante, findige Reflexion über ein Thema, das uns alle und unser Verhalten betrifft. Ein schöner, kostbarer Beifang, der vor ca. anderthalb Jahren noch nicht abzusehen war. Oder mit einem Werktitel von Sabine Ostermann gesagt: Die „Schnittmenge“ hat sich inzwischen bedeutend vergrößert. Ein schöner Ausstellungsbeifang für die Künstler und die Kunststation wäre es, wenn die Werke und Publikationen nicht nur Interesse, sondern auch Käufer finden würden.

Auch die Ausstellungen der Kunststation sind ein Ergebnis von Netzwerkerei in all ihren Bereichen, von Kommunikation und Zusammenarbeit von Leuten, die Fäden ziehen, halten und verknüpfen, und denjenigen, die ausgelegte Fäden auch aufgreifen. Es ist ein enges Zusammenwirken von den Künstlern, den Mitarbeitern der Kunststation und Ihnen, den Besuchern unserer Ausstellungen. Ihnen allen am Ende dieses Jahres für alles Gelingen und alles neugierige Interesse herzlichsten Dank! Verleben Sie frohe Festtage und starten Sie gut in ein glückliches Neues Jahr! Mögen wir uns auch im kommenden Jahr vernetzen und darüber hinaus wieder von Mensch zu Mensch begegnen.